Tana Toraja
Grenzerfahrungen im Inland

Heute waren wir in Tana Toraja – wenn jemand Sulawesi kennt, dann entweder wegen der tollen Tauchspots oder wegen Tana Toraja. Ich spanne euch nicht länger auf die Folter, was sich hinter diesem Namen verbirgt: eine Region in der Mitte Sulawesis, gelegen ca. 700m über dem Meeresspiegel auf einer Hochebene. Wir sind hier, um mit unserem Guide Henrik zwei Touren zu machen: Kultur mit dem Besuch einer Beerdigungszeremonie und traditionellen Dörfern und Natur mit wunderschönen Reisterrassen, einem Berg mit 1700m, Flüssen und Dschungel.
Heute also Kultur; wir sind in den vergangenen Wochen und Tagen tausende Kilometer gereist, um die berühmten Beerdigungszeremonien in den traditionellen Dörfern der Torajer kennenzulernen. Dank Reiseführer gut vorbereitet, wussten wir, dass auf den Beerdigungen Wasserbüffel und Schweine getötet werden. Aber: Wer sensibel ist und nichts über geopferte Tiere lesen möchte, der muss an dieser Stelle aufhören zu lesen (ernsthaft). Der ein oder die andere fragt sich nun: Hm, die tierliebende Johanna ist nicht sensibel? Die Antwort lautet: doch. Aber auch sehr neugierig, wissbegierig und jetzt um ein furchtbares Erlebnis, aber auch einen tiefen Einblick in eine andere Kultur an Erfahrung gefüllter. Reicher möchte ich nicht schreiben, aber es hat mich mal wieder zum Nachdenken gebracht, welche ethischen Grundlagen weltweit gelten sollten.
Also zum Tagesgeschehen: in der Früh sind wir zu viert aufgebrochen, nach feinen Ananas-Bananen-Pancakes in unserer süßen Unterkunft von unserem Guide. Modern und sauber, das Badezimmer westlich (man darf das Klopapier in das Klo werfen!!!), aber ohne Internet. Auf Sulawesi geht das noch. Gottseidank ist unsere liebe Reisebegleitung, Johanna 1 (so stellen wir uns immer vor: Johanna1, Johanna2 und Johanna3/äh, Tobi) stets großzügig mit ihrem Hotspot…
Wir haben zunächst die Felsengräber der Toraja besucht, wo die Toten in Kammern, die in den Fels gehauen werden, bestattet sind. Davor stehen lebensgroße Statuen mit den Gesichtszügen der Verstorbenen. Unser Guide hat uns im Laufe des Tages unglaublich viel über die Kultur der Torajer erzählt; vor allem, dass der Zusammenhalt in den Familie und in der gesamten Region unglaublich stark ist und durch häufige Zeremonien, Geschenke und einen ausgeprägten Ahnenkult gepflegt wird. Zum Beispiel werden die Toten einmal im Jahr mit (falls noch vorhandener) Haut und Knochen aus den Gräbern geholt, gewaschen und neu eingekleidet.
Aber um zur Beerdigung selbst zu kommen, die übrigens kein trauriges Ereignis ist. Eine Beerdigung muss man sich hier leisten können, die Zeremonie, die wir heute besucht haben, war einem Großvater gewidmet, der vor 17 Jahren gestorben ist. Solange musste die Familie sparen, um dieses riesige Event auszurichten. Inzwischen ist noch eine Familienangehörige gestorben, so dass die Zeremonie nochmals größer war. Ein bisschen muss man sich das vorstellen, wie einen Jahrmarkt: in der Mitte das große traditionelle Familienhaus, gegenüber die kleineren, schmuckvoll verzierten Reisspeicher. Diese Gebäude stehen immer dort. Um sie herum, werden dann weitere Gebäude für die Zeremonienwoche aufgestellt: ein Haus für die Geschenkübergabe an die Familie, das riesige Haus für die beiden Särge, eine riesige Küche zur Verkostung der Gäste und unzählige kleine Pavillons für die Gäste. Als wir ankamen, mussten wir schwarze Saris anziehen, Männer wie Frauen, ansonsten ist die Kleiderordnung seltsamerweise sehr frei (von Flip Flops über Sonnenhüte, Gummistiefel und kostbare Hemden).
Leider habe ich schon aus dem Fenster gesehen, wie ein großes, dunkles Schwein, auf der Seite liegend, mit einem großen Flammenwerfer, aus dem Feuer kommt, die Haare abgeflammt worden. Gottseidank war es schon tot, im Gegensatz zu vielen weiteren Schweinen, die an Bambusstangen festgebunden gequiekt und geschrien haben.
Als wir schließlich das Dorf betreten haben, mussten wir auf dem Weg durch alle Schweine, die teils quiekend lebendig, teils bereits tot und blutend und teils schon halb ausgenommen auf dem Weg lagen. Schweineköpfe, Menschen, die die Gedärme aufgewickelt haben und mit Macheten die Knochen gespalten haben und schließlich in der Mitte des Platzes vier tote Wasserbüffel, ebenfalls blutend, teils ohne Haut und teils schon ausgenommen. Als ich aufgrund dieser Eindrücke die Zeremonie verlassen wollte, hatte unser Guide gerade mit jemanden aus der Familie gesprochen, die uns in einen Sitzpavillon eingeladen haben. Daher konnten wir nicht gehen ohne die Familie zu brüskieren… wir wurden sehr liebevoll versorgt mit Tee, Kaffee und Keksen – stets von Menschen, die kein Wort Englisch sprechen, für die es aber selbstverständlich ist, Fremde als Gäste willkommen zu heißen. Von dort hat man die Schlachtungen nicht gesehen, dennoch aber gehört und die lebendigen, festgezurrten Schweine gesehen. Mir hat es das Herz zerrissen und ich kann nach wie vor nicht verstehen, wie alle Menschen diese Leid aushalten können. Was ich aber schon verstehe, ist, dass wir in Europa völlig abgeschnitten vom Leid der sogenannten Nutztiere sind. In Toraja sehen Kinder von klein auf, wie Tiere geschlachtet werden und wissen, dass sie deren Fleisch verzehren. Bei uns geschieht das hinter verschlossenen Schlachthoftüren und wir bekommen von allem Blut reingewaschenes Fleisch im Supermarkt. Kaum jemand von uns hört ein Schwein quieken oder einen Wasserbüffel ausbluten.
Das Fazit: ich finde, dass in keiner Kultur Tiere leiden dürfen. Man sollte keine Schweine an Bambusstangen festbinden und in der Sonne liegen lassen, so dass sie Schmerzen haben. Aber wenn ich Fleisch esse, muss mir bewusst sein, dass ein Lebewesen getötet wird und wie das passiert. Die Tötung selbst muss aber schmerzfrei geschehen und die Haltung der Tiere artgerecht. Wir sollten uns in Deutschland nicht überlegen fühlen, solange wir Massentierhaltungsanlagen haben – in Sulawesi leben Hühner, Schweine und Wasserbüffel wenigstens in der Natur!
Der kulturelle Hintergrund dieser Opferungen ist außerdem sehr interessant: die Torajer glauben, dass je mehr Tiere geopfert werden, desto besser werden diese Tiere den Toten in das Paradies begleiten. Sie sind auch fest davon überzeugt, dass es ein Gleichgewicht zwischen Lebewesen geben muss; so darf man beispielswiese Bäume auch nur für einen guten Grund fällen und muss in einer Zeremonie darum bitten.
Die Zeremonien sorgen für einen großen gesellschaftlichen Zusammenhalt – schön bürokratisch wird notiert, wer kommt und wie viele Büffel man mitbringt (ein Durchschlag für die Familie der Beschenkten, einer für die Behörde und einer für einen selbst). Sollte in dieser Familie einmal jemand sterben, so ist der heute Beschenkte verpflichtet, ebenfalls wieder einen Büffel zu schenken. Man stelle sich vor, dass Schweine und Büffel zwischen 500€ und 40.000€ kosten (kein Tippfehler)…die Torajer scheinen somit eine der wirklich reicheren Regionen Indonesiens zu sein, was man auch an den wunderschönen traditionellen Häusern sieht. Zum Vergleich: ein normales Monatseinkommen eines Arbeiters hier liegt zwischen 200€ und 600€.
Unser Tag ging dann übrigens noch sehr interessant weiter, wir haben Höhlengräber besichtigt und Kindergräber. Das hört sich nun traurig an, ist aber eine sehr schöne Tradition, wie ich finde. Wenn Kinder tot geboren werden, beerdigen die Familien sie in einem Loch in einem lebenden Baum. Der Saft der Bäume ist weiß wie Muttermilch und das Loch wächst mit der Zeit zu und die Seele des Babys wächst mit dem Baum weiter. Man kann sich auch von anderen Kulturen etwas abschauen!
Ps: ein Artikel, der chronologisch früher eingeordnet wird, erscheint auch demnächst (also in die älteren Beiträge gucken ;-) ).