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Es kreucht und fleucht

Hanni • 5. Juli 2022

Betrachtungen zur stechenden Biodiversität

„Ui, was für ein cooler blauer Schmetterling“, „Wart ihr schon bei den Bartgeiern?“, „Vorsicht, die Rinderbremsen stechen übel“ und „Jaaaaaaaa, wieder zwei Fliegen erwischt“ – zwischen diesen Extremen bewegt sich hier auf der Halsalm unser Umgang mit der vorhandenen Fauna.


Wir befinden uns im Nationalpark Berchtesgaden, in der Pflegezone, die aufgrund der Almbewirtschaftung eine besonders große Dichte an Pflanzen- und Tierarten aufweist. Das ist auf der einen Seite wunderschön: selten habe ich so viele verschiedene Schmetterlinge auf einmal in freier Natur gesehen (in München gibt es das nur im Botanischen Garten und man bewundert dann nur äußerst exotische Schmetterlinge) – aber hier: hellblau, weiß-schwarz-gestreift (Blauweißling), der kleine Fuchs, der Apollofalter, der Natterwurz-Perlmuttfalter, der Traumermantel (megacool in Schwarz-Blau-Weiß), der Admiral und nicht zuletzt das Tagpfauenauage. Die Schmetterlinge fliegen am Liebsten zu den kleinen Wasserlachen auf unserem Kiesweg, die durch das Wegschwappen der Kuhhinterlassenschaften entstanden sind. Sie sind etwas schreckhaft, aber lassen sich aus der Ferne durchaus beobachten.


Ganz anders die aufdringlichsten Käfer, die mir je begegnet sind. Sie lieben Strohhüte und besetzen diese förmlich, wenn man versucht, sein Mittagessen zu genießen. Notfalls nehmen sie auch Haare und kaum ein Besucher hat mit uns gesprochen, ohne von einem der grünen Käfer im Haar belauscht zu werden. Aber sie stehen auf der Liste der Alltagsnerver nicht ganz oben, denn das ist eindeutig: die gemeine Fliege. Nie hätte ich gedacht, dass Tobi und ich (ich halte uns für sehr friedlich und tierliebend) uns zurufen: „35 Stück, ich habe nen neuen Rekord“ und der andere sagt: „Prima, weiter so, ich hatte heute morgen nur 15“. Sie sind unverschämt, haben einen gewaltigen Geschlechtstrieb, sind aber gottseidank nicht die hellsten (sie gehen gerne in Fallen, wo schon Fliegen sind – aus Neugier). Aber sie haben die Alm fest im Griff…


Anfangs bin ich übrigens noch schreiend auf den Duschwannenrand gesprungen (kein Witz!), als mir eine Spinne aus dem Ausfluss entgegenkam. Heute lasse ich die Spinnweben auf dem Plumpsklo hängen, weil ich mir denke: „Da könnte ja eine Fliege drin landen.“ Mal wieder ein Perspektivenwechsel!


Ebenso wie ich mir noch dachte, ach, die Zeckenimpfung kann ja nicht schaden, aber ich hab ja eigentlich eh nie welche. Inzwischen lausen wir uns jeden Abend :-) und haben eine neue Zeckenzange per Internet bestellt…


Nun aber zu etwas größerem Getier, das mir nicht gerade auf dem Arm herumkrabbelt.


Unser Lieblingsgast ist Rosalie, die Waldgämse, die in den ersten Tagen hier genüsslich vor der Alm am Abend geweidet hat. Vermutlich ist es jetzt zu viel Trubel, wir haben sie schon länger nicht gesehen, hoffen aber auf ein Wiedersehen im Herbst. Dann gibt es das noch den brünstigen Birkhahn, der jeden Morgen penetrant durch die Gegend schnattert. Ich hoffe, die Damen haben bald ein wenig Mitleid! Ein anderer Birkhahn, in der Region schon bekannt, da er neben einer Straße gewohnt hat, ist leider wohl eines Tages zu nah an die Straße gekommen oder ein Pendler dachte sich, dass er sich nicht mehr jeden Tag den Weg von dem frech schnatternden Vogel versperren lassen will…


Außerdem wären da noch: Kreuzotter, Adlerpaare, Motten, Heuschrecken, Vögel, die Tobi immer versucht, unserer Altbäuerin zu beschreiben, nur um dann festzustellen, dass die Beschreibung auf mehrere Vögel zutreffen könnte (*hihi*) und Raupen. In der Außenwirkung übertroffen werden diese alle jedoch von den zwei Bartgeierweibchen, die im Nationalpark Anfang Juni ausgewildert wurden.


Eine Zeitung titelte neulich: Bartgeierdame Dagmar begeistert Experten mit Jungfernflug. Uns haben die Bartgeier vor allem eingebracht, dass wir viele Praktikant*innen aus dem Nationalpark kennenlernen durften. Allesamt sehr interessierte, freundliche junge Menschen, die sich für den Naturschutz einsetzen. Und tatsächlich durfte ich Daggi, so wird die eine Bartgeierdame im Praktikantenmund genannt, neulich durchs Fernglas mit den Flügeln schlagen sehen. Bis dahin war ich mir nicht so sicher, ob da nicht nur zwei große Fellknäule zu Touristenzwecken ausgestellt worden waren. Aber der Flügelschlag (Spannweite 2,90m!!!) war für mich mal wieder ein Glücksmoment der intensiven wilden Tierbeobachtung!


*Für alle germanistisch Interessierten: Diese endreimende Paarformel stammt von den alten Beugungsformen der Verben „kriechen“ und „fliegen“ (eigentlich „fleugt“ aus dem Neuhochdeutschen). Als Zitat aus Schillers "Wilhelm Tell" (1804) ist sie zum geflügelten Wort geworden. Mal wieder also einem der Dichterfürsten zu verdanken…

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